Sechs Länder in Sieben Tagen – Idee & Hintergründe
14. Dezember 2009Vorplanung & Vorbereitungen
21. August 2018Mittwoch, 16.06.2010 (Tag 1)
Wir sind früh morgens aufgebrochen und haben uns, auf gemütlichen Landstraßen, auf den Weg Richtung Südwesten gemacht. Neben zwei Textil-Satteltaschen und einem Tankrucksack hatten wir noch einen normalen Rucksack dabei - ich war gerade mitten im Studium und hatte einfach kein Geld für ein Koffersystem. Außerdem würden wir ja nur eine Woche unterwegs sein - und die paar Sachen die man dann braucht, bekommt man ja schließlich auch so unter.
Die Niederlande und Belgien passierten wir recht schnell - vom Münsterland aus ist es ja nicht allzu weit. Mittags überquerten wir bereits die französische Grenze, sodass wir schon am frühen Nachmittag in Paris waren. Innerhalb der Stadt haben wir, so erinnere ich mich, eine gute Stunde gebraucht um zum Pére Lachaise - dem wohl berühmtesten Friedhof der Welt - zu gelangen: Die Franzosen haben keine solche Disziplin beim Auto fahren wie ich es aus Deutschland gewohnt war (der Fairness halber muss man sagen das deutsche Verkehrsteilnehmer auch nicht gerade ein ruhiges Naturell haben - aber dass sich permanent alle Fahrzeuge [ja, auch die 40-Tonner] in jede noch so kleine Lücke drängeln und dabei häufig noch nicht einmal Rücksicht auf die sich durchschlängelnden Roller- & Motorradfahrer nehmen, ist etwas anderes).
Jim Morrison's Grab war genau so wie ich es von Bildern her kannte: Abgesperrt, bewacht, mit Blumen und allerlei Grabbeigaben bunt bedeckt und eigentlich ziemlich langweilig - schließlich wurde die Büste schon vor etlichen Jahrzehnten geklaut und im Grunde handelt es sich um ein schnödes Reihengrab, dass nur deshalb so heraussticht, weil einer der wichtigsten Namen der Rock-Geschichte auf dem Grsabstein eingemeißelt ist. Egal - ich wollte schon lange hier hin und hatte es nun endlich geschafft.
(Entschuldigt bitte die Bildqualität - damals hatte ich nur eine 2005er Taschenknipse mit mickrigen 4MP dabei)
Wir verließen Paris ähnlich gestresst wie wir es betreten hatten und schafften es schließlich (mit viel Geduld) den dichten Drängelverkehr hinter uns zu lassen. Wir wollten erstmal nur raus und möglichst weit weg, deshalb wählten wir die Autobahn und machten schließlich gute 20km hinter Paris eine Tank- und Zigarettenpause. Als wir so da saßen und aßen, zog es sich immer mehr zu und es begann leicht zu tröpfeln. Wir packten zusammen und machten uns wieder auf den Weg. "Vielleicht können wir dem Regen ja noch davonfahren" war unsere irrwitzige Annahme. Was wir nämlich nicht wussten: Das was uns da einholen würde, war ein Tiefdruckgebiet von der Größe halb Europas...
Wir fuhren also im Regen weiter. Unser Plan war es, möglichst nah an die Schweiz heran zu kommen, sodass wir am nächsten Tag recht früh dort sein und uns noch etwas die Stadt ansehen konnten. Der Regen trieb uns ebenfalls voran - wir blieben also auf der Autobahn und gaben Vollgas. Nach etwa zwei Stunden ruckelte der Motor - schlagartig wurde mir bewusst: Alleine, ohne Gepäck und bei normaler Fahrweise komme ich mit einer Tankfüllung etwa 300km weit - nun waren wir aber zu zweit, hatten Gepäck dabei und ich hatte das Gas fast permanent am Anschlag...
Scheiße...
Ich schaltete auf Reserve und gab dem Navi den Befehl die nächste Tankstelle zu suchen. Normalerweise komme ich mit der Reserve etwa 50km weit - wie weit sie wohl bei voll beladenem Motorrad reichen würde..? Das Navi rechnete und gab schließlich bekannt: "Die nächste Tanke ist 50,0km entfernt. Soll ich eine Route berechnen?". Ich traute meinen Augen nicht - hatte aber keine Wahl. Also gut - Gas reduzieren, Fahrweise anpassen und das Beste hoffen. Das Navi lotste uns von der Autobahn runter und führte uns zunächst über Bundes- dann über Landstraßen durch wunderschöne Landschaften. Zumindest hätte ich sie wunderschön finden können, wenn es nicht gerade geregnet hätte und ich mir keine Sorgen über den Spritstand in meinem Tank hätte machen müssen... Die Landstraßen wurden kleiner und enger, bis sie schließlich keinen Mittelstreifen mehr hatten. Und auch die Zivilisation wurde spärlicher - wir fuhren schließlich durch Häuseransammlungen, für die noch nicht einmal mehr die Beschreibung "Dorf" passen würde... Wir hatten keine Wahl als weiter zu fahren und zu hoffen dass uns das Navi keinen Streich spielen würde - um umzukehren waren wir schon zu weit gefahren...
Mit dem letzten Tropfen Sprit rollten wir schließlich auf die ersehnte Tankstelle zu! Doch warum lag sie im Dunklen? Schon im Vorbeifahren erkannten wir, dass sie geschlossen war. Tja - wenn es einmal läuft... Nach einer kurzen Verzweiflung und genauerem Hinsehen erkannten wird schließlich das rettende VISA-Logo auf der Zapfsäule - hier konnte man also auch Mitarbeiter- und Bargeldlos bezahlen! Sowas kannten wir zwar nicht aus Deutschland, das war uns aber in diesem Moment völlig egal. Wir tankten auf und beschlossen gleich im erstbesten Hotel zu übernachten - mittlerweile waren wir seit fast zwölt Stunden unterwegs, hatten mehrere hundert Kilometer hinter uns gebracht, uns zweimal durch den lebensgefährlichen Pariser Verkehr geschlängelt und waren mittlerweile völlig durchnässt - für einen Tag sollte es reichen.
Wir fanden ein Ibis-Hotel, nahmen das erstbeste Zimmer, trockneten uns ab so gut es ging und fielen fast direkt danach ins Bett. Beim Zuziehen der Vorhänge habe ich noch mitgekriegt dass ein indischer Reisebus ankam - die hatten wohl auch keine Lust mehr, im Dauerregen weiter zu fahren...
Donnerstag, 17.06.2010 (Tag 2)
Wir wachten auf - leider hatte sich das Wetter seit gestern Abend nicht geändert. Es schien wohl ein größeres Tiefdruckgebiet zu sein - vielleicht würden wir ja im Laufe des Tages Glück haben (nein, einen Wetterbericht hatten wir auch heute nicht gesehen). Wir stellten außerdem fest, dass die zum Trocknen aufgehängten Lederkombis doch etwas zu schwer geworden waren - die lagen nämlich samt zerbrochener Kleiderhaken auf dem Boden...
Als wir schließlich zum Frühstück runter gingen begegneten wir den Indern, die am Vorabend angekommen waren. Dem Treiben im Frühstücksraum nach war das Hotel ausgebucht - oder eher überbucht. Egal, wir wollten eigentlich nur schnell was essen und unsere Müdigkeit mit Kaffee verteiben - ein Liter pro Person dürfte reichen. Nur leider mochten die Inder ebenfalls Kaffee - sogar so sehr, dass sich vor den beiden einzigen Kaffeemaschinen lange Schlangen bildeten. Viele von ihnen zogen sich eine Tassee Kaffee und stellten sich hinten wieder an - es war kaum möglich auch nur an eine einzige Tasse des lebensrettenden Elixiers zu kommen...
Irgendwie schafften wir es dann doch noch ein, zwei Tassen Kaffee zu ergattern und machten uns mit vom Hotel geliehenen Handtüchern recht schnell wieder auf den Weg. Wir behielten unsere Taktik vom Vortag bei und entschieden uns für die schnellste Route per Autobahn. Sicher, wir hätten auch umdrehen können - aber da wir noch viele Zwischenstopps auf unserer Liste hatten, auf die wir uns freuten - und weil wir schlichtweg nicht wussten was da noch auf uns zukam, hielten wir an unserer Planung fest.
Auf dem weiteren Weg nach Bern hätten wir - selbst wenn wir uns für landschaftlich reizvolle Routen entschieden hätten - kaum einen Blick für diese übrig gehabt; wir kamen uns nämlich so vor wie Forrest Gump in Vietnam und haben an diesem Tag etwa 17 verschiedene Regenarten identifizieren können: Feinen Sprühregen, Regen mit dicken Tropfen, Regen, der von der Seite kam, schwallartiger Regen, Nieselregen, Platzregen, Starkregen und noch ein paar mehr... Irgendwann kam sogar ein hinterhältig den Nacken herunterkriechender Regen dazu - Regenkombis hatten wir nämlich nicht im Gepäck...
Irgendwann, kurz nachdem wir die schweizer Grenze passiert hatten, lächelte uns das Berner Ortseingangsschild entgegen. Wir entschieden uns für ein Hotel im Stadtzentrum, stellten das Motorrad in einer Seitenstraße ab und gingen direkt in unser Zimmer - um uns wieder einmal zu trocknen so gut es eben ging. Nachdem die Lederkombi's aufgehangen waren gingen wir direkt in die Stadt - aus Versehen regenete es nämlich mal nicht. Wir besorgten uns ein paar Franken, besuchten das Einstein-Haus und bummelten durch die Innenstadt.
Zum Abend hin bekamen wir Hunger. Wir stolperten in eine Pizzeria und fragten nach einem Tisch. Auf welchen Namen wir denn reserviert hätten, war die Gegenfrage. "Gar nicht - wir sind so hier" war unsere Antwort. Daraufhin durchsuchte der Kellner das Reservierungsbuch und bot uns einen Tisch an - vorausgesetzt, wir würden nach spätestens 45 Min. wieder gehen... Wir bestellten und bekamen dann auch bald unser Essen. Ich bestellte eine Pizza Calzone - die bestelle ich eigentlich immer in italienischen Restaurants, wenn ich sie dort noch nicht probiert hatte. Doch dieses Mal war ich überrascht: meine Calzone war halbmondförmig ausgeschnitten und mit Tomatensauce und frischem Basilikum garniert - das hatte ich so noch niergendwo gesehen. Während wir also dort saßen und aßen, sahen wir uns in der Pizzeria um: sie war schmal und lang, schlauchförmig. Die Wände zu beiden Seiten waren gesäumt mit Urkunden von Pizza-Landes-, Europa- und Weltmeisterschaften der letzten zehn oder 15 Jahre - immer unter den ersten drei Plätzen, häufig sogar auf Platz eins. Leider habe ich mir den Namen der Pizzeria nicht gemerkt, aber ich glaube dass ich sie wiedefinden würde, wenn ich noch einmal nach Bern komme. Übrigens haben wir für zwei Pizzen und vier Biere etwa 30 oder 35 Franken bezahlt - also gar nicht mal so viel mehr als man in einer "normalen" deutschen Pizzeria bezahlt...
Wir verbrachten den Rest des Abends im Biergarten einer nahe gelegenen Kneipe - hier gab es einen meiner Lieblings-Whisky's für 6,- CHF pro 4cl - in Deutschland kostet er meist 5-6 EUR pro 2cl! Ich habe also nicht lange überlegen müssen was ich bestellen sollte... Als es dann doch noch anfing zu regen haben wir schnell ausgetrunken und sind zurück ins Hotel gegangen. Dort haben wir festgestellt, dass auch diese Kleiderhaken dem Gewicht von vollgesogenen Leder-Kombi's nicht standhalten konnten - schon wieder lagen unsere Sachen neben zerbrochenen Kleiderhaken auf dem Boden...
Freitag, 18.06.2010 (Tag 3)
Nach einem schnellen Frühstück und dem Austauschen der nun nassen Ibis-Handtücher gegen neue trockene, machten wir uns auf den Weg Richtung Zürich - heute war der "Haupttag", weswegen wir die Tour überhaupt angetreten hatten: Das Festival mit den Auftritten von Motörhead und Metallica. Die Fahrt war zwar verhältnismäßig kurz, aber die ~120km reichten aus um die (in der Kürze der Zeit selbstverständlich nicht komplett durchgetrockneten) Lederkombi's erneut zu durchweichen. Mittlerweile war sogar ein Level erreicht, bei dem das neu aufgenommene Wasser offenbar direkt vom Leder nach innen weitergeleitet wurde - die gut eineinhalb Stunden Fahrt im Dauerregen reichten aus, um uns nicht nur komplett zu durchnässen - mittlerweile hatten wir auch einen recht ansehnlichen Wasserstand in unseren Stiefeln. Der war so hoch, dass er beim Gas geben und Bremsen deutlich zu spüren war. Irgendwann nützt eben selbst die dickste Imprägnierung nichts mehr...
Bei einem Tankstopp haben noch schnell ein Hotel gebucht; eine angesichts der abertausend Anreisen aus aller Herren Länder ganz offensichtlich reichlich verspätete Idee - irgendwie hatten wir im Vorfeld anderes zu tun als auch nur einen Gedanken an die Übernachtungsgelegenheit vor Ort zu verschwenden... Immerhin das achte oder zehnte Hotel hatte noch ein Zimmer für uns frei. Es war zwar von der Ausstattung und Preisklasse her deutlich mehr als wir avisiert hatten - andererseits waren wir froh überhaupt noch ein Zimmer gekriegt zu haben. Da auch weiterhin Regen angekündigt war (ja, inzwischen hatten wir den Wetterbericht gesehen), stellte ich das Motorrad in einer nahe gelegenen Tiefgarage ab und wir gingen auf unser Zimmer. Dort hängten wir unsere Lederkombi's abermals zum Trockenen auf die Kleiderbügel und zogen uns die so ziemlich letzten trockenen Sachen an, die unser Gepäck noch hergab.
Noch bevor wir uns auf den Weg Richtung Festival-Gelände machten, krachte es zwei Mal kurz hintereinander. Das Hotelzimmer war zwar nicht billig - die Kleiderhaken hingegen schon...
Das Festival fand eigentlich gar nicht in Zürich statt, sondern in einem kleinen Ort etwa 20km vor der Stadtgrenze. Wir mussten erst einmal zum Bahnhof, von da aus eine gute halbe Stunde mit der Bahn fahren und dann noch einmal etwa 45 Min. bis zum Festivalgelände laufen. Je näher wir dem Gelände kamen, desto dreckiger wurden die uns Entgegenkommenden. Und das waren gar nicht mal so wenige: zeitweise gingen mehr Besucher in Richtung Bahnhof, als Neuankömmlinge wie wir in Richtung Festival gingen. Und die Entgegenkommenden wurden immer schlammiger... So langsam wurde uns klar: Während wir tagelang durch den Regen gefahren waren, tobte sich das Tiefdruckgebiet über dem Festivalgelände aus: einem Acker, der seit mehreren Tagen von etlichen hundert Mitarbeiter, Dutzenden anliefernden LKW und tausenden Besuchern verwüstet wurde - viel Gras würde da sicher nicht mehr wachsen...
Wir hatten ja schon mit dem Schlimmsten gerechnet - das wahre Ausmaß dieser (wortwörtlichen!) Schlammschlacht wurde uns aber erst vor Ort klar: Auf dem gesamten Gelände stand kein einziger Grashalm mehr - der Anblick erinnerte an die Totensümpfe aus dem Herrn der Ringe (nur mit etwas weniger Wasser und ohne die Leichen - obwohl: diejenigen, die tatsächlich noch dort campierten, tranken sich das Wetter schön [und sie hatten alle Hände voll zu tun!]).
Einige der Camper berichteten später davon, dass selbst Ratten sich in die Zelte flüchteten weil sie draußen nicht mehr weglaufen konnten - kurzum: das ganze Festival ist abgesoffen. Für die Veranstalter war das aber kein Grund die Konzerte abzusagen (die Bühne stand ja schon). Eine Entscheidung, für die das Management scharf kritisiert wurde.
Da wir mit unserem knapp bemessenen Reisegepäck ohnehin schon Probleme hatten, nahmen wir das Angebot eines ortsansässigen etwa zwölfjährigen Mädchens, uns die Beinde mit Mülltüten und großzügig viel Gaffatape einzumumifizieren, gerne an. Sie nahm dafür 3 oder 4 Franken pro Nase und war nach nicht einmal zwei Minuten pro Person fertig. Über das Wochende gerechnet war das sicher ein ganz ordentlicher Stundenlohn, gegen den ihr Taschengeld wohl nicht anstinken konnte...
Mit unseren so präparierten Beinen betraten wir schließlich die Schlammlandschaft vor der Hauptbühne und sahen uns die Konzerte an. Alle ein bis zwei Minuten mussten wir die zwischenzeitlich bis zu den Waden eingesunkenen Beine wieder herausziehen, da wir ansonsten vollends eingesunken wären und wahrscheinlich beim finalen Befreiungsversuch der Länge nach hingeknallt wären...
Unser Erlebnis mit dem 2010er Sonisphere Festival war recht schnell wieder vorbei: nachdem wir "unsere" Bands gesehen hatten, nahmen wir noch die ersten paar Lieder von Slayer mit, bevor wir uns schließlich auf den Rückweg machten: Einerseits hatten wir noch gut zwei Stunden bis zum Hotel vor uns und andererseits waren wir nach den bisherigen Tagen einfach nur müde. Und durchnässt. Wer aber nach "Sonisphere 2010 Zürich" googelt, wird weitaus spannendere und ausgiebigere Berichte (mit eindrucksvolleren Bildern) finden...
Wir machten uns jedenfalls wieder auf den Weg nach Zürich. Dass wir mit unseren vollgeschlammten Mülltüten-Beinen den Zug eingesaut haben, interessierte an diesem Tag niemanden. Erst in Zürich selbst, als die Besucherströme sich über die Stadt verteilten, schenkte man uns dann und wann ein paar verstörende Blicke.
An einer Straßenecke entledigten wir uns unserer provisorischen Schutzausrüstung und stellten leicht panisch fest, dass die Mülltüten leider nicht so gut geschützt haben wie erhofft: Unsere Stiefel und weite Teile der Hosen waren ziemlich schlammig. Offenbar hatte durch viele Mikro-Beschädigungen der Mülltüten immer wieder etwas Schlamm seinen Weg ins Innere gefunden - und hat sich mit jedem Schritt munter verteilt. Im Grunde hätten wir die Tüten auch ganz weg lassen können - so zumindest sahen unsere Stiefel und Hosen aus...
Ein paar hundert Meter weiter kamen wir an eine Tankstelle. Mit dem Scheibenwischwasser versuchten wird den Schlamm runterzuspülen - aber wer schon einmal richtig zähen Schlamm an den Stiefeln hatte, weiß, dass das ein sinnloser Versuch war. Wir sahen uns um und entdeckten im hinteren Teil der Tankstelle einen Wasserhahn - zu unserem Glück war er nicht abgedreht, und so konnten wir immerhin mit fließendem Wasser den gröbsten Schlamm runterspülen. Unsere Reinigungsaktion wurde schnell von anderen Heimkehrern bemerkt und schon bald hatten wir ein recht ansehnliche Schlange hinter uns versammelt - ich glaube diese Tankstelle hatte in diesem Monat einen höheren Wasser- als Bezinverbrauch...
Wir kamen schließlich an unserem Hotel an: Da es noch nicht besonders spät war, war die Rezeption noch besetzt. Mit unseren immer noch sehr matschigen Stiefeln hatten wir wenig Interesse daran durch das Foyer unseres Vier-Sterne-Quartiers zu laufen... Wir entdeckten schließlich das Treppenhaus: es war durch einen Seiteneingang auch von außen zu erreichen - offenbar ein Zugang für Nachteulen. Wir öffneten die Tür mit unserer Karte und wollten uns - vom Portier ungesehen - schnell und leise auf unser Zimmer schleichen. Was wir jedoch von außen nicht gesehen hatten: Das Treppenhaus war gläsern - und so liefen wir, keine 5 Meter von der Rezeption entfernt und schön auf Augenhöhe, vor dem Portier her... Wir haben ihn so gut es ging ignoriert und sind schnurstracks auf unser Stockwerk und ins Zimmer verschwunden - so leid es uns für die Reinigungskräfte tat - wir hatten in diesem Moment einfach wenig Lust dazu, unsere Situation zu erklären...
Auf dem Zimmer angekommen reinigen wir Hosen und Stiefel unter der Dusche so gut es ging - aber viel war nicht zu machen. Wir opferten schließlich eine unserer Zahnbürsten um die Sachen wenigstens so gut es eben ging zu reinigen - wie gesagt hatten wir in den Satteltaschen nur wenig Gepäck unterkriegen können - und die paar Sachen wollten wir so gut es ging hegen und pflegen...
Samstag, 19.06.2010 (Tag 4)
Nach unserer üblichen Morgen-Routine (Aufstehen, Frühstücken und die nassen Handtücher im Gepäck gegen trockene aus dem Hotel austauschen) packten wir zusammen. Wir planten unsere Route für den Tag: Da es ununterbrochen weiterregenen sollte, verwarfen wir unseren geplanten Schlenker über Österreich und sagten Markus ab - auf einem mehrere hundert Kilometer langen Umweg über nasse alpine Pässe zu fahren klang bei dieser Witterung nicht besonders einladend. Bei gutem Wetter wäre das eine schöne Tagestour geworden, aber im strömenden Dauerregen würde das einfach wenig Spaß machen. Wir entschieden uns also dazu die Strecke bis Berlin mehr oder weniger gerade durchzuziehen: unser Tagesziel für heute war Ulm.
Als ich das Motorrad holte - es konnte in der Tiefgarage immerhin einmal richtig durchtrocknen - sah ich, dass die beiden Plätze recht sund links daneben mit Pylonen abgesperrt worden waren. Es dauerte auch keine Minute, bis jemand vom Sicherheitsdienst auftauchte und mich fragte, ob ich beim reinfahren denn nicht das "für Motorräder verboten"-Schild gesehen hätte. Hatte ich nicht. Wirklich nicht. Es erschloss sich mir auch nicht, warum ich nicht dort parken dürfe - schließlich hatte ich ~20 Franken für den Platz bezahlt. "Das Motorrad könnte umfallen und dabei ein parkendes Auto beschädigen" war die Begründung. Hä?? Das Motorrad stand auf dem Hauptständer: solange da niemand gegentrete, so meine Argumentation, fällt da nix um. Und selbst wenn: da ich es mittig in die Parkbox gestellt hatte, würde es gar nicht bis an das benachbarte Auto herankommen. Ich fand meine Argumente schlüssig - doch der Tiefgaragen-Mitarbeiter hatte seine Anweisungen und Vorschriften. Außerdem waren wir beide nicht in der Stimmung zu diskutieren; wir einigten uns also darauf dass ich nicht noch einmal dort parken würde und gut - schließlich hatte ich das Schild schlichtweg übersehen...
Wir starteten ohne dass ich mir die Route nach Ulm noch einmal genauer angesehen hatte. Wir fuhren durch stundenlangen Dauerregen - und nur ab und an verschaffte uns eine Tunneldurchfahrt eine kurze Regenpause. Doch kaum war die oberflächliche Nässe durch den Fahrtwind wieder abgetrocknet, war der Tunnel auch schon zu Ende und die Tortur begann von vorne... Immerhin: Wir waren keine Weicheier - soviel hatten wir auf dieser Tour gelernt. Weicheier hätten schon nach Paris die Heimreise angetreten.
Wir waren etwas erschrocken, als wir plötzlich die österreichische Grenze passierten. Hatte ich einen Fehler gemacht und aus Versehen doch die ursprünglich geplante Route zu Markus im Navi gestartet? Nach einem kurzen Blick war aber klar: Wir umfuhren den Bodensee auf der Ostseite - und diese Strecke führte uns für etwa 20km durch österreichisches Territorium...
Wir folgten den Anweisungen des Navi's und erreichten schließlich die deutsche Grenze. Wir hatten sie kaum passiert als wir unseren Augen nicht trauten: Der Himmel riss auf und wir fanden uns in strahlendem Sonnenschein wieder. Das Klima wurde angenehm mild, die Straßen wurden immer trockener und auf einmal machte das Fahren wieder so etwas ähnliches wie Spaß - wir waren vollends irritiert. Und unvorbereitet. So sehr, dass wir - kaum im Hotel angekommen - die Vorhänge zuzogen und uns ein Pizzataxi auf's Zimmer bestellten. Der Sonnenuntergang und der Ausblick auf die im Hintergrund zu erahnenden Alpen wäre sicherlich reizvoll gewesen - wir hatten nach all den Tagen im Dauerregen allerdings keine Lust uns das anzugucken, während unsere triefnassen Lederkombi's auch in diesem Hotel den Kleiderbügeln binnen weniger Minuten ihre Belastungsgrenze aufzeigten...
Sonntag, 20.06.2010 (Tag 5)
Da wir bis Berlin noch mächtig viel Regen abkriegen würden und in der Folgewoche noch Urlaub hatten, beschlossen wir, die Tour um ein paar Tage zu verlängern. In der "Business-Corner" des Hotels buchte ich eine Ferienwohnung an der Ostsee (damals kamen die Smartphones gerade erst auf und solche Dinge mussten noch an einem "richtigen" Computer erledigt werden - flächendeckendes WLAN und LTE war damals noch pure Science Fiction). Die Wettervorhersagen sahen recht gut aus, sodass wir nach all den Strapazen vielleicht doch noch ein paar schöne Strand-Tage haben würden... Ansonsten folgten wir unserer üblichen Morgen-Routine: Aufstehen, frühstücken, Sachen packen, die nassen Handtücher des Vortags-Hotels gegen trockene unseres aktuellen Hotels austauschen und die zerbrochenen Kleiderhaken dezent ganz unten im Mülleimer entsorgen.
Unser Tagesziel lag irgendwo im Raum Nürnberg / Würzburg / Bamberg - so genau weiß ich es nicht mehr. Zumindest war dieser Tag ebenfalls völlig verregnet, sodass wir nicht viel gemacht haben außer "Strecke zu ziehen", zwischendurch etwas zu essen, im Hotel die Kleiderhaken zu zerbrechen und festzustellen, dass offenbar schon wieder "Murmeltiertag" ist...
Montag, 21.06.2010 (Tag 6)
Neue Woche - neues Glück: Der Regen ließ endlich nach - und zwar für mehr als nur ein paar Stunden! Nachdem wir wie immer die Ibis-Handtücher vom Vortag gegen Ibis-Handtücher im neuen Hotel getauscht hatten (mit Ausnahme der beiden schweizerischen Hotels blieb auf diese Weise zumindest alles "in der Familie"), machten wir uns weiter auf den Weg Richtung Hauptstadt.
Wir erreichten unser heutiges Tagesziel Leipzig schon am frühen Nachmittag, sodass wir den Rest des Tages "auf gut Glück" durch die Stadt stolpern konnten (abgesehen von einem eineinhalbstündigen Abstecher in einen Waschsalon - der musste einfach sein). Leipzig ist mir in guter Erinnerung geblieben; es ist eine schöne Stadt, in der man eine Menge entdecken kann; vor allem der Bahnhof ist sehr schön!
Dienstag, 22.06.2010 (Tag 7)
Bis Berlin war es nicht mehr weit, sodass wir auch diese Tagesetappe sehr gemütlich hinter uns bringen konnten. Das Tiefdruckgebiet war auch weitgehend abgezogen, sodass wir - von ein paar kleineren Schauern abgesehen - trocken geblieben sind. Der Tradition halber haben wir uns in einem Ibis-Hotel eingemietet und dort die Handtücher mit denen des Vortages eingetauscht. Damals hatte Ibis die Aufteilung in drei unterschiedliche Komfort-Klassen noch nicht, die sie heute haben und der Standard war in allen Hotels der gleiche. Wir waren positiv überrascht, dass wir überall verhältnismäßig günstige Hotels hatten, in denen wir jedoch einen recht ansehnlichen Komfort hatten. Es war zwar nicht überragend, für uns Durchreisende ideal.
Wir haben noch ein, zwei Abstecher in Berlin unternommen bevor wir abends zum Olympiastation gefahren sind. Das Konzert war - wie immer bei AC/DC - einfach nur geil! Wir hatten die gleiche Show zwar schon im Vorjahr gesehen (es war die Black Ice-Tour) - aber wir hätten sie auch noch ein paar Mal öfter sehen können...
Mittwoch, 23.06.2010 (Tag 8)
Wir wachten verkatert und ziemlich gerädert auf - eigentlich wäre heute die rund 500km lange Heimreise dran gewesen. Aber da wir die Tour spontan um ein paar Tage an der Ostsee verlängert hatten, konnten wir in Ruhe wach und wieder fit werden und gemächlich in Richtung Norden aufbrechen. Wir packten zusammen, veließen Berlin und fuhren quer durch Brandenburg. In einem kleinen Ort mussten wir links abbiegen. Ich setzte den Blinker, bremse ab und sah - zu spät - dass die Kurve voller Rollsplitt lag...
Wir sind vielmehr umgefallen, als dass ich von einem "Sturz" sprechen würde. Da ich vorher so gut es ging abgebremst hatte, waren wir vielleicht noch 30 km/h schnell - das hat immerhin für gut 5 Meter Rutschweg auf dem Asphalt gereicht. Wirklich was passiert ist uns nicht - die Schäden am Motorrad waren schlimmer als unsere leichten Prellungen - die voll bepackten Gepäcktaschen haben uns zum Glück genug "Beinfreiheit" zwischen Motorrad und Asphalt gelassen. Auf den ersten Blick sah das Motorrad schlimm aus:
- Spiegelblinker zerkratzt und Gehäuse gebrochen
- Kupplungshebel zerkratzt
- Lenkerendgewicht zerkratzt
- Lenker schief (es lag zum Glück nur an verzogenen Gabelholmen)
- Lichtmaschinendeckel zerkratzt
- Heckverkleidung zerkratzt
- Soziusrastenhalterung zerkratzt
- Seitenständeraufnahme zerkratzt
- Schalthebel zerkratzt
- Blinkerglas hinten gebrochen
Ich überlegte die ganze Zeit wie es zu diesem Sturz kommen konnte - vor Rollsplitt habe ich den größten Respekt. Ich ging ein paar hundert Meter die Straße runter und sah, dass kein Warnschild aufgestellt worden war. Sicher, es waren nur ein paar qm² Straße, die saniert wurden, aber ein Schild war trotzdem nicht aufgestellt. Ein Anwohner erzählte uns nachher, dass er schon ein paar Tage zuvor die Bauarbeiter auf das fehlende Schild angesprochen hätte... So zumindest war es ein klarer Versicherungsfall und ich hatte das Geld recht schnell auf dem Konto: Die Gabel wurde gerichtet, ein paar Teile wurden ausgetauscht, andere geschliffen und nach ein paar Tagen sah alles wieder so aus wie vorher.
Da mein Motorrad nach wie vor fahrtüchtig war und keine "größeren" Schäden hatte - die meisten ware ja rein optisch - konnten wir weiterfahren. Natürlich fuhr ich extrem vorsichtig - vor allem in Linkskurven. Es hat lange gedauert, bis ich das Vertrauen in meine Reifen zurückerlangt habe; was mir aber am meisten geholfen hat, war fahren. Fahren, fahren, fahren - nur so kann man nach einem Sturz die Angst in den Griff kriegen. Anfangs fällt es natürlich schwer, aber mit jedem Kilometer wird es wieder besser: das Vertrauen in das Motorrad und (insbesondere) die Reifenhaftung kommen schrittweise zurück - man muss sich aber zwingen "dranzubleiben".
Wir kamen schließlich in unserer Ferienwohung an und hatten ein paar freie Tage vor uns. Großartig raus wollten wir nicht, sondern einfach nur die Tage im Trockenen genießen, faul am Strand herumliegen und uns betrinken. Wir packten also als allererstes unsere Sachen aus und fuhren zum örtlichen Supermarkt. Dort kauften wir ein bisschen was zu Essen ein und machten den Einkaufswagen mit allerhand alkoholischen Leckereien voll: wir schafften es gerade so, alles in den Seitentaschen und dem Rucksack zu verstauen...
Die Tage an der Ostsee waren sehr angenehm: Wir schliefen tagelang aus, hatten keinerlei Verpflichtungen und lebten in den Tag herein. Nach all den Tagen im Regen kam diese kurze Auszeit genau richtig, bevor wir uns schließlich wieder auf den Weg nach Hause machten...