
Fünfter Tag: Ein teures Versehen in Stockholm
30. August 2018
Siebter Tag: Keine Höhlentrolle in Kleva, eine eher mittelmäßige Crème Brûlée und ein kleiner Herzinfarkt
1. September 2018In Schweden ist es mittlerweile üblich alles, aber auch wirklich ALLES mit Kreditkarte zu bezahlen. Wie wir am Vorabend von Christoph erfahren hatten gibt es sowas wie EC-Karten in Schweden praktisch nicht - oder vielmehr nutzen die Schweden ihre Kreditkarten wie wir unsere EC-Karten, nur eben inflationärer! Ein Beispiel: Wenn man morgens verkatert in einem Hostel mitten in Stockholm aufwacht und sich zwecks Frühstück in die nächstbeste Bäckerei schleppt, kann es einem passieren, dass man beim bezahlen des Bechers Kaffee irritiert angeguckt wird wenn man zum Bargeld greift. "We accept no Cash - only Credit-Cards!" ist in Schweden längst keine Seltenheit mehr. Für uns teutonische Touristen mag das zunächst irritierend sein, es hat aber auch einen praktischen Nutzen: an etwa 95% aller Zapfsäulen kann man ausschließlich mit Kreditkarte bezahlen - es regt sich auch niemand auf wenn man einfach so frech ist und den Helm dabei auflässt. Kassierer oder gar Tankwarte gibt es dort so gut wie gar nicht, nur die größeren Tankstellen haben einen Shop oder gar durchgehend geöffnet - auf dem Land gibt es ausschließlich Kreditkartenbetriebene Zapfsäulen, meist sogar ohne festes Dach, Wasser, Staubsauger und Luftdruckprüfer.

Verschiedene Religionen existieren hier friedlich nebeneinander: Runenstein vor der Kirche Skokloster
Nachdem wir wieder fahrtüchtig waren, haben wir uns auf den Weg nach Nordwesten gemacht; unser Plan sah vor dass wir die zerklüfteten Ufer des Mälaren auf der Nordseite entlang fahren und hier und da bei potentiell interessanten Zielen ein paar Zwischenstopps einlegen. Unser erstes Ziel war Skokloster, kurz vor Uppsala. Die meisten Touristen zieht sicherlich das Schloss an: Es ist ein direkt am See gelegenes märchenhaftes Schloss mit strahlend weißer Fassade, dessen Türme so arrogant in die Höhe ragen dass sogar Rapunzel über einen Umzug nachdenken würde. Langweilig also. Wir haben uns daher in der benachbarten Kirche herumgetrieben, die dortige Waffenkammer inspiziert und gestaunt wie gut einige der moosbesetzten Grabsteine auch nach mehreren hundert Jahren noch erhalten sind. Immer wieder erstaunlich ist, wie selbstverständlich dort oben die verschiedenen Religionen und Kulturen nebeneinander existieren: In Schweden kommt es immer mal wieder vor dass ein heidnischer Runenstein in einer Kirche ausgestellt ist - in Skokloster ist man sogar stolz darauf gleich zwei Runensteine auf dem Kirchengelände zu haben und darüber hinaus auch noch ein antikes Runentuch in der Kirche auszustellen. Man stelle sich mal vor, was los wäre, wenn in einer Moschee antike Originalschriftrollen der Bibel ausgestellt würden... Dort oben geht man das Thema Religionen eben generell etwas entspannter an.Weiter ging es nach Westen - unser Weg führte uns nach Västeras ins dortige Freilichtmuseum. Dort wurden verschiedene Häuser, Anlagen und der Alltag längst vergangener Zeiten nachgebaut - unter anderem ein etwa 40m langes Wikingerhaus gibt es dort zu bestaunen, aber auch kleinere Gehöfte, spezielle Werkstätten oder einfach nur das typische Familienhaus, das vor 300 Jahren normal war. Die vielen Tiere, die den Alltag noch anschaulicher machen und neben einigen Statisten, die alte Handwerkskünste erhalten, bringen eine gewisse Lebendigkeit in dieses kleine Dorf. Wer also einen Familienurlaub dort oben macht sollte für einen Tagesausflug unbedingt dorthin fahren. Das angepriesene Wikingerhaus war leider recht enttäuschend - allerdings wusste ich auch was uns diesbezüglich am letzten Urlaubstag erwarten würde und hatte daher eine hohe Erwartungshaltung...
Der nächste Zwischenstop war am Tidö Slott geplant - das war allerdings wegen einer privaten Feier komplett gesperrt. Es war aber auch nicht weiter schlimm - das wäre ohnehin ein Ziel gewesen, dass gerade auf dem Weg lag und dass man mal mitnehmen könnte, wenn man schon mal da ist. Also ging es weiter Richtung Süden, also plötzlich hinter einer leichten Kurve eine verfallene Kirchenruine auftauchte. Die Überreste der "Lilla Rytterne Kyrka", so informierte uns ein aufgestelltes Schild, seien hier zu bewundern. Frei zugänglich steht sie inmitten der Weiten der Natur; sicher, es gibt ein paar Häuser in der Umgebung - das einzige Anzeichen für andere Mensch in diesem sehr einsamen Fleckchen Erde ist ansonsten nur, dass alle paar Minuten mal ein Auto vorbeigefahren kommt.
Anschließend blieb uns nur der Heimweg; rund 300km sollte es über kurvige Landstraßen nach Hause gehen. Anfangs hat es auch viel Spaß gemacht die vorbeiziehende Landschaft zu beobachten und sich von der einen in die andere Kurve zu legen. Als uns dann aber der einsetzende Regen die Kurven vermiest hat (und absehbar war dass es für den Rest des Tag nicht mehr aufhören würde) haben wir uns für den effektiveren Weg per Autobahn entschieden.
Wir fuhren also stundenlang monoton geradeaus - die einzige Abwechslung war, es Forrest Gump gleichzutun und die verschiedenen Regenarten, die uns unterwegs begegneten, zu kategorisieren. Einen solchen Niederschlag hatte ich zuletzt 2010 erlebt - damals haben meine Frau und ich uns auf einer 6-Länder-Tour durch fünf Tage Dauerregen gekämpft, was vor allem deshalb besonders übel war, weil ich noch kein Koffer-System hatte sondern nur Textil-Satteltaschen... Na jedenfalls ist bei einer solch langweiligen Geradeausfahrt reichlich kognitive Kapazität übrig, um verschiedenen Gedankengängen zu folgen. Nachdem der Wasserstand in meinen Stiefeln immer weiter anstieg, war dieser hier einer davon:
Ich fahre jetzt seit 2009 Motorrad; im Laufe der Zeit habe ich nach uns nach Teile meiner "Erstausrüstung" durch neue ersetzt. Der Nierengurt war eingerissen, die Handschuhe waren einfach "auf", die Textil-Kombi musste einer ledernen weichen und der Helm war nach knapp zehn Jahren auch einfach mal dran. Selbst die Sturmhaube habe ich gegen eine neue ersetzt, weil sich die Sonnebrille dauernd darin verfangen hatte. Nur meine Stiefel hatte ich all die Jahre treu behalten - sie haben ja auch immer getan was sie sollten. Außerdem waren sie perfekt eingelaufen! Nun aber muss ich einsehen, dass es doch ganz schön kalt wird - so ganz dicht sind sie halt nicht mehr. Und Wasserdicht erst recht nicht. Ich glaube es wird Zeit sich so langsam auch von dem letzten Teil meiner Erstausrüstung zu verabschieden...
Wir fuhren also stoisch geradeaus - immer weiter und weiter. Die Sonne war längst untergegangen und mit der Dunkelheit kroch die Kälte mehr und mehr der Nässe hinterher - durch jeden Reißverschluss (und selbst jedes Nahtloch schien eine willkommene Eintrittspforte zu sein). Neben der Autobahn stieg ein Hügel an, der, je weiter wir fuhren, mehr und mehr zu einem Berg wurde. Oben auf dem Gipfel regte sich, professionell illuminiert, eine verfallene Ruine dem dunklen Himmel entgegen. Wir mussten diese Ruine bei Tageslicht sehen, gar keine Frage! Ich habe also unsere aktuelle Position im Navi gespeichert und wir haben, als wir dann irgendwann einmal wieder in unserem Ferienhaus waren, herausgefunden, dass es ich um das Brahehus handelte. Da ohnehin noch eine Tour in diese Region geplant war, haben wir es der Liste hinzufügt. Aber dazu später mehr...