Tag 5: Keine Geister in Nes, Norwegens grüner Osten & Rondane Nationalpark
19. Juni 2019Tag 7: Schneeballschlacht am Sommeranfang
21. Juni 2019Wir werden wach. Das Zelt ist erwartungsgemäß nass - wenigstens hat der Regen inzwischen aufgehört, sodass wir Hoffnungen hegen das Zelt später nicht nass einpacken zu müssen. Immerhin weht ein konstanter Wind der die Zeltplane recht schnell wieder abtrocknen wird. Wir unterhalten uns noch ein bisschen bis Daniel beschließt als Erster aufzustehen. Er kriecht aus dem Zelt und sagt: "Ey, Dein Motorrad ist umgefallen". "Na ist doch super!" erwiedere ich und drrehe mich noch einmal auf die andere Seite - wir hatten uns am Vorabend noch über den Umfaller aus dem Vorjahr unterhalten, daher habe ich ihn nicht ernst genommen. Solche Scherze sind typisch für ihn. "Nein, ehrlich - es liegt da." - "Na klar." - "Wirklich!!" - "Na dann mach ma 'n Foto". Ich höre das typische Foto-"Klick" des Smartphones. Hatte er etwa die Wahrheit gesagt? Aber ich habe das Motorrad doch auf einer geraden Stelle mit festem Boden abgestellt?! Nachdem ich das Beweisfoto gesehen habe mache auch ich mich auf den Weg an die kühle Morgenluft und sehe es mit eigenen Augen:
Na toll. Schon ein flüchtiger Blick verrät mir das ich das Motorrad zwar auf geradem Untergrund abgestellt hatte; dieser ist aber durch den stundenlangen Dauerregen der verganen Nacht derart aufgeweicht, dass eine leichte Unebenheit das Motorrad in eine geringe aber verheerende Schräglage gebracht hat. Daniels mit einem Reihen-Vierer versehene Zwölfhunderter - und dadurch locker 50kg schwerere - Bandit blieb jedoch unbeschadet. Er sollte seinen ersten Umfaller erst am Mittag beim Rangieren auf einem Parkplatz haben.
Nach einer ersten schnellen Diagnose folgte das Wieder-Aufrichten und eine zweite, detailliertere Schadens-Begutachtung: Meine CB ist auf die rechte Seite umgefallen - wobei der linke Spiegel gebrochen ist, weil er den Kampf gegen die Seitenverkleidung der Bandit verloren hat. Da ich Spiegel-Blinker habe (siehe mein Umfaller aus dem Vorjahr in Schweden) war eine Notreparatur unumgänglich - also habe ich ein paar kurze Stöcke zusammengesucht und den Spiegel mit reichlich Panzerband geschient. Es hat super gehalten! Er war sogar derart bombenfest, dass ich ihn zwei Wochen später zu Hause kaum wieder abbekommen habe.
Auf der rechten Seite hat mein Koffer schlimmere Schäden am Motorblock verhindert, allerdings war die Kofferhalterung etwas verbogen. Mit etwas vorsichtig dosierter Kraft habe ich sie notdürftig wieder in Form bringen können, wollte aber nicht riskieren sie abzubrechen und habe deshalb mit einer leichten Schieflage des Koffers vorlieb nehmen müssen. Immerhin ist nichts schlimmeres passiert - so hat es uns nur eine etwa eine Stunden lang Nerven (und ein gemütliches Frühstück) gekostet.
Nach einem schnellen Kaffee haben wir die Gegend noch etwas genauer inspiziert. Zwar war es gestern Abend / Nacht nicht wirklich dunkel, bei vollem Tageslicht (soweit man das bei dem bedecktem Himmel sagen kann) haben wir jedoch weitaus mehr Details des Nationalparks entdecken können.
Wir sind dem Fv27 nach Norden und später dem Fv29 Richtung Westen gefolgt und haben auf dieser landschaftlich sehr spannenden Route den Rondane umrundet. Bei jedem Kilometer gab es andere Dinge zu bestaunen: Mal eine undurchdringlich gewachsene Fauna, mal einen Aussichtpunkt, der den Blick in die ersten Fjord-ähnlichen Täler erlaubt, dann wieder Berge, deren schneebedeckte Gipfel so kurz vor der Sommersondenwende für uns Mitteleuropäer etwas befremdliches haben, gefolgt von weiten Landschaften, fernab von Bergen oder Wassergefüllten Tälern. Obwohl ich permanent Musik unter'm Heln anhabe kann ich mich abends nicht erinnern sie gehört zu haben, so sehr zieht mich die sich permanent verwandelnde Landschaft in ihren Bann.
Wir fuhren weiter Richtung Westen - nach einem kurzen Stück auf der E6 folgten wir der E136 bis fast an die Küste. Auch hier merkten wir einmal mehr wie dünn dieses Land (dass immerhin fast 30.000 km² größer ist als Deutschland!) doch besiedelt ist: Wir haben an einem Aussichtpunkt einen kurzen Kaffee- & Foto-Stop eingelegt und sind dabei fast permanent auf der Fahrbahn umhergelaufen: In etwa 20 Min. kamen nur etwa ein Dutzend Fahrzeuge vorbei. Eine typische norwegische Autobahn also...
Wer die Route bis hierhin auf der Landkarte verfolgt hat, weiß, was das nächste Highlight des Tages ist: Der Trollstigen! Selbstverständlich gehört diese Straße zum Pflichtprogramm einer jeden Motorrad-Norwegen-Tour und selbstverständlich hatte ich mich schon lange auf die Auffahrt gefreut. So sehr, dass ich mein Glück kaum fassen konnte, dass wir diese einmalige Passstraße nicht nur im trockenen erreicht haben, sondern es zudem noch mehrere Stunden seit dem letzten Regen her war, sodass sich uns die Straße mit fast komplett trockenen Asphalt präsentierte! Ein Traum...
Schon vorher waren wir fasziniert wie schnell sich doch innerhalb von nicht einmal zwei Stunden die Landschaft derart veränderte: Noch am Mittag waren wir in den westlichen Ausläufern des Nationalparks, die sich mit satt grünen Landschaften hügelig durch das Gelände schlängelten. Nach und nach wurden die Erhebungen höher und gewaltiger - immer öfter sahen anstatt weitläufigen Pflanzenansammlungen nichts als grauen Stein. Wir mussten enge Felspässe passieren, die in die Gebirge gesprengt worden waren. Wasserfälle stürzten die rauen Klippen hinab und hier und da sammelte sich das Schmelzwasser in blaugrünen Lachen in großen Becken direkt neben der Straße. Wir wussten auf was wir zusteuerten - und waren doch von dem Anblick des Trollstigen überrascht, als er unvermittelt vor uns auftauchte:
Nach der Auffahrt bin ich gleich noch einmal runter: Zum Einen hatte es einfach zu viel Spaß gemacht als dass ich mich mit einer einzigen Fahrt zufrieden gegeben hätte und zum Anderen wollte ich ein selbst zusammengestelltes Video von der Auffahrt haben, in der auch von oben gefilmte Passagen enthalten sind. Meinen Camcorder einzupacken war auf jeden Fall die richtige Entscheidung: er schafft mit seinem 24-fachen optischen Zoom Aufnahmen, bei der jedes Smartphone (und erst recht jede GoPro) in die Knie gehen. Außerdem waren wir außerhalb der Ferien an einem Werktag dort: Abgesehen von ein paar Einheimischen und einigen obligatorischen Wohnmobilen war die Straße herrlich leer! Hier also eines meiner persönlichen Highlights - Rasten kratzen war wegen des voll bepackten Motorrads aber leider nur bedingt möglich. Achja, eins noch: Für den rein privaten Gebrauch habe ich die Schnitte an die Hintergrund-Musik angepasst. Da ich aber nicht scharf darauf bin Post von Abmahn-Anwälten zu bekommen, habe ich die Tonspur bei dem folgenden Video gelöscht. Wer die Auffahrt in ihrer ursprünglichen Version erleben möchte, muss einfach nur etwa eine Sekunde vor dem Start der Trollstigen-Auffahrt in einem zweiten Tab "Over the Hills and far away" von Gary Moore in der Studio-Version einschalten. Zum Beispiel bei Youtube. ;-) Nach zwei, drei Versuchen sollte es klappen den richtigen Moment abzupassen, sodass die parallel abgespielte Musik zum Video passt...
Schon ein paar Kilometer hinter dem Trollstigen hielten wir erneut an: Unter einer Brücke verläuft nämlich der Valldøla - ein Strom, der das klare und gerade erst geschmolzene Gletscherwasser talwärts befördert (für alle, die dort auch einmal hin möchten: der Aussichtspunkt heißt "Gudbrandsjuvet"):
Nach diesem spontanen Zwischenstopp und einer kurzen Fährüberfahrt hatten wir unser Tagesziel erreicht: Einen Campingplatz mitten im Geiranger-Fjord (das ist einer dieser Bilderbuch-Fjorde, über den man in jedem Norwegen-Reiseführer unweigerlich stolpert). Das Wetter war uns zwar nicht hold, aber eben diese Randnotiz findet man auch in jedem Reiseführer: Der Atlantik schickt was er will - insbesondere die Bewohner Bergens sind an die etwa 200 Regentage pro Jahr gewöhnt - aber auch etwas weiter im Landesinneren bleiben die Regenwolken noch hängen:
Nachdem das Zelt schnell aufgebaut war (immerhin haben wir das fast im Trockenen geschafft) haben wir den Rest des Abends damit verbracht uns den prinzipiell reizvollen Anblick des Fjordes mit verschiedenen norwegischen Bieren schön zu trinken - viel mehr war an diesem Tag nicht mehr drin...